Akademischer Hinsetz-Jazz, bei dem man sich still verhalten muss, damit hat Aron Ottignon nichts zu tun. Der Pianovirtuose aus Neuseeland — richtig gelesen: N e u s e e l a n d, der in einer Musikerfamilie großgeworden ist und schon mit vierzehn seine erste Platte aufgenommen hat, betritt neues Terrain: eine Liaison aus Electronic, explosiven Rhythmen und melodischen Jazzpiano-Motiven.
Machen Sie sich zuallererst von allen Vorurteilen frei! Denn schon allein der Begriff »Jazzpiano« klingt nach dem, was Ottignon gar nicht mag: komplizierter Jazz, den man nur mit Diplom hören darf. Er will, dass man seine Musik mit allen Sinnen, frei und ungezwungen erleben kann. »Ich mag diesen intellektuellen Hinsetz-Jazz nicht, oder wie auch immer man das nennen soll, wo die Leute ihr Telefon ausschalten und ruhig sein müssen. Wenn du die Jazzplatten der 50er und 60er anhörst, bemerkst du, dass die Leute im Hintergrund trinken, lachen und tanzen«, skizziert Aron seine Grundeinstellung.
Leicht lässt sich die Musik des 1982 geborenen Künstlers allerdings nicht einordnen. Handelt es sich um Jazz? Oder haben wir es mit avantgardistischem Electro zu tun? Im
Ottignon seinen Platz in einer experimentellen Nische gefunden, doch sieht es im richtigen Leben ganz anders aus:
In der hippen Szene der Clubs ist er schon lange kein Geheimtipp mehr.
Seit 2006 hat er ganz Europa in verschiedener Besetzung betourt und sich eine treue Fangemeinde erspielt.
Aron Ottignon schlägt die Klavierseiten direkt an (Foto: Kien Hoang)
Mit Push, dem Controller-Instrument von Ableton, ist es möglich, den Computer live zu spielen und sound zu gestalten (Foto: Kien Hoang)
Die Band
Unterstützt wird Ottignon vom Spitzen-Steel-Drummer Samuel Dubois (UK), der auch die Fäden der Percussions in der Hand hält. Rodi Kirk, ebenfalls ein Kiwi, der sich als Dance Producer einen Namen gemacht hat, bedient die Technik und spielt das Push, einen neuartigen Controller, der den Computer mit der Software Ableton Live mehr zu einem
eigenständigen Instrument werden lässt. Es ist sogar nicht mehr notwendig, den Bildschirm überhaupt anzusehen! Rodi Kirk steuert auch die avantgardistischen Electro-Elemente und das Sounddesign bei. »Wir versuchen, akustische Instrumente, die sehr frei spielbar sind, mit
elektronischen Dingen, die unglaubliche Klangmöglichkeiten bieten, zu verknüpfen«, so Kirk über die gemeinsame Arbeit. Es über-rascht nicht, dass es diese erfahrenen Musiker schaffen, ihre Musik nahtlos als starke und dynamisch ansteckende Show auf die Bühne zu bringen. Inmitten der gewohnten Musikkonserven ist es für die Zuhörer etwas ziemlich abgefahrenes zu sehen, wie (elektronische) Musik von echten Menschen gemacht wird. Ein neuer Trend, der das DJing weiterentwickelt.
Die Inspiration
Neuseeland ist zwar eine Insel, aber der globalen Unterhaltungsindustrie ent-kommt niemand mehr. Natürlich wächst man dort nicht völlig isoliert auf. Hip-Hop, Electro und Pop sind bestimmende Elemente der Jugendkultur, auch wenn man im Begriff ist, Pianist zu werden. Aron hat sich dazu noch früh mit exotischen Instrumenten wie Nguru-Walzahn-Flöten, polynesischen Schlaginstrumenten und vielerlei anderen Dingen beschäftigt, vor allem auch rhythmischer Natur: aus Marokko, Westafrika, Malaysia und der Karibik kommen die Rhythmen, die ihn beeinflussen. 2006 hat er seinen Wohnsitz nach Europa verlegt, um in London, Paris und Berlin die befruchtende Zusammenarbeit zu finden, die er nun praktiziert. Die Möglichkeiten sind hier schlicht größer, Projekte und Touren mit Yoann Lemoine (Woodkid), Stromae, Abd Al Malik, James Morrison, Craig
David und dem Joe Zawinul Syndicate beweisen.
Die Erkenntnis
Jazz kommt wieder im Jetzt an. Heute pulsiert das Leben dort, wo der Rhythmus ist. Mit Aron Ottignons Fusion-Sound haben wir einen weiteren ansteckenden Schrittmacher.
Titelbild: Kiel Hoang